Formel 1 mit eigenem Flair

Formel 1 mit eigenem Flair

Grand Prix in Miami: Ausnahme oder neue Normalität der Formel 1?

Jeder Austragungsort der Formel 1-Weltmeisterschaft hat sein eigenes Flair, seine eigenen Fans und seine eigene Charakteristik. Es gibt ikonische und traditionelle Rennstrecken wie Monaco oder Monza, aber auch Klassiker wie Spa oder Silverstone und eben neue Austragungsorte wie Saudi Arabien, Katar, Abu Dhabi, Bahrain oder Singapur – und dann gibt es seit 2022 auch Miami. In Florida ist alles nochmals anders und faszinierend zugleich: Das Fahrerlager mit den Hospitality-Gebäuden der zehn F1-Teams ist auf dem Spielfeld des Hard Rock Stadions positioniert, auf dem normalerweise die Miami-Dolphins ihre NFL-Spiele austragen. Das Pressezentrum befindet sich unter dem Dach des Stadions in den VIP-Räumen der Dolphins und die Rennstrecke wird im Prinzip auf den Parkplätzen rund um das Hard-Rock-Stadion errichtet. Die eigentlichen Wahrzeichen des Kurses sind die Swimmingpools der gigantischen Privat-Suiten rund um die Strecke, eine auf Holzflächen gemalte Fake-Marina mit beeindruckenden Yachten sowie eine Highway-Zufahrt, die für das Rennwochenende gesperrt wird.

Das Highlight des GP Miami sind die VIPs. Auf keiner Rennstrecke hat der Paddock-Club eine Größe wie in Miami, nirgendwo ist das Fahrerlager so voll wie in Florida und nirgendwo ist die Milliardärs-Dichte so hoch wie beim Formel 1 Wochenende im Sunshine State. Wenn Elon Musk (Tesla und Twitter) und Jeff Bezos (Amazon) wie kleine Jungs mit leuchtenden Augen bei den Formel 1-Teams zu Besuch sind, ehemalige Tennis-Stars wie Roger Federer, Serena und Venus Williams sowie Gabriela Sabatini hinter den Boxen flanieren und Tom Cruise fast unerkannt in der Startaufstellung Formel 1-Luft einsaugt, dann ist das typisch Miami. Diese US-Stadt scheint ein Gewinner der Corona-Zeit zu sein. Denn Florida verzichtete auf „Lock Downs“, weshalb  wohlhabende Amerikaner kurzentschlossen aus ihren Millionenvillen und Luxus-Apartments von der Ostküste nach Florida umzogen und seither einfach hiergeblieben sind. Dazu kommen reiche Südamerikaner, für die Florida und Miami traditionell ein Zufluchtsort aus ihren Heimatländern ist. Die Mischung aus US-amerikanischem Geldadel und südamerikanischen Emotionen machen Miami zu einem perfekten Austragungsort für die Formel 1.

In Miami geht es jedoch nicht um die klassischen Formel 1 Fans. Leute, die auf der Sonnenseite leben, stehen hier im Mittelpunkt. Geld spielt beim Miami Grand Prix keine Rolle. Und deshalb bietet Liberty-Media, der amerikanische Besitzer der Formel 1, den wohlhabenden und zahlenden Gästen auch die Show, die diese verlangen und erwarten.

Eine Präsentation der Fahrer wenige Minuten vor dem Start? In Miami kein Problem. Rapper Will.I.am zelebriert seinen neuen Formel 1 Song mit Live-Band – sein Rapper-Kollege LL Cool J stellt die Formel-1-Fahrer vor. Das Ganze auf einer riesigen Bühne direkt auf der Start-Ziellinie. Diese Präsentation der 20 Fahrer kurz vor dem Start ist in der Branche kritisiert worden. Verständlich, denn eigentlich befinden sich die Fahrer wenige Minuten vor dem Start schon „im Tunnel“ ihrer Konzentration. Sie tauchen ab in ihre eigene Welt – da kann niemand eine Last-Minute-Konfetti-und Trockeneis-Präsentation gebrauchen. Aber die amerikanischen Fans erwarten ein derartiges Spektakel ebenso wie den Überflug einiger Kampfjets zur US-Nationalhymne.  

In Europa findet der GP von Monaco, die traditionelle Königsetappe der Formel 1 statt. Kann Monaco überhaupt noch mit Miami konkurrieren? Eigentlich schon, denn Monaco ist das Original, Miami die beeindruckend bunte Kopie. Aber kommt es auch auf das Racing an? Und das ist 2023 zumindest an der F1-Spitze eher bescheiden. Mercedes-Fahrer George Russell sagte schon beim Saisonauftakt in Bahrain: „Red Bull gewinnt dieses Jahr alle Rennen.“ Und er hat bislang recht gehabt. Die Red Bull von Max Verstappen und Sergio Perez ist ihren Konkurrenten von Mercedes und Ferrari haushoch überlegen. Allein der Aston Martin von Fernando Alonso hat sich zu einem Gegner für Red Bull entwickelt. Und weil das so ist, herrscht bei Mercedes und Ferrari mittlerweile Druck: Mercedes schob den Technischen Direktor Mike Elliot (für die Mercedes-Flops von 2022 und 2023 verantwortlich) ins Abseits und reaktivierte James Allison, der die Silberpfeile in den Jahren davor zu ihren WM-Titeln geführt hatte. Bei Ferrari herrscht die schon fast traditionelle Ratlosigkeit. Das Team weiß nicht, warum der Ferrari auf manchen Strecken schnell, auf anderen langsam ist. Der Reifenverschleiß im Rennen ist bei Ferrari viel zu hoch und Charles Leclerc überfordert den Wagen und baut deshalb viel zu häufig Unfälle. Carlos Sainz leistet sich Fehler, die dann wie in Melbourne und Miami mit 5 Sekunden-Strafen gebüßt werden. Und Lewis Hamilton, der siebenfache Weltmeister? Vergleicht man ihn mit Mercedes-Teamkollegen George Russell, dann schneidet Hamilton nicht gut ab. Allerdings ist die Frage erlaubt, wie motiviert ein Lewis Hamilton auf einem schlechten Wagen sein muss. Der 38-jährige Brite hat nach über 100 Siegen einen Anspruch darauf, nur auf einem konkurrenzfähigen Wagen 100 Prozent zu geben, denn er muss niemandem mehr etwas beweisen.

Der spannendste Bereich der Formel 1 ist das Mittelfeld. Zwischen Alfa Romeo, Alpine, McLaren, Haas, Alpha Tauri und Williams geht es eng zu. Allerdings haben diese Teams mit der Vergabe der WM-Punkte in 2023 nur wenig zu tun: bei normalem Rennverlauf fahren beide Red Bull, beide Aston Martins, beide Ferrari und beide Mercedes in die Punkteränge – insofern kämpfen sechs der zehn Teams und insgesamt 12 Fahrer eigentlich nur um die Punkteränge auf Platz 9 und 10.

Diese sportliche Dürre tut der Begeisterung für die Formel 1 jedoch keinen Abbruch. Weltweit ist der neue Boom der Formel 1 ungebrochen. Und die Besitzer der Formel 1 planen, die Anzahl der jährlichen Rennen weiter zu erhöhen. 2030 sollen bis zu 30 Formel-1-Rennen pro Jahr ausgetragen werden. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass Miami auch dann noch dazugehört – nur Deutschland wird kaum noch relevant sein.